Sämtliche kulturellen Errungenschaften und Fortschritte, die in den letzten drei Jahrtausenden gemacht wurden, haben ihren Ursprung in einem gemeinsamen, weit über alle politischen und geographischen Grenzen hinaus strahlenden Zentrum, einer beherrschenden Hochkultur in Mradoshan, die nach Aussage der Gelehrten einem neuen Zenit, einer neuen Hochblüte entgegenstrebt, einem „Diamantenen Zeitalter“, das die Priester und Orakel prophezeien: dem Kernland des östlichen Mradoshans, was wir heute Allianz nennen. Es mag trotzdem verwundern, wieso in diesem und in den folgenden Kapiteln in erster Linie nur von den stolzen Katzenwesen die Rede und warum nur ihre Kultur von Bedeutung sein soll.
Auch wenn die politischen Grenzen heute anders verlaufen, alle Städte entlang des Stroms, Sprache, Schrift, Philosophie und Religion haben ihren Anfang und ihre Wurzeln in der Kultur der Chirà. Somit gehören die Länder und Städte zwischen Weltenwall und Metchà einem einheitlichen Kulturkreis an und gründen trotz der unterschiedlichen Details ihrer Gesellschaften auf denselben Fundamenten. Was für die Chirà gilt, gilt, jedoch ausgedünnt durch die Wasser des Stroms, die Vermischung mit anderen Völkern und Entfernung vom übersprühenden Zentrum, auch für die anderen Gemeinschaften dessen, was man das Land des Großen Stromes nennt.
Die letzten Jahrzehnte seit der Gründung der Allianz haben neben dem Goldenen Zeitalter der Entdeckungen vor zweitausend Jahren den größten technologischen Aufschwung aller Zeiten gebracht.
Besonders deutlich zeigt sich dies in den Naturwissenschaften, allen voran der Physik.
Zu nennen sind hier die bahnbrechenden Erkenntnisse in der Mechanik und der daraus entwickelten Nutzung heißen Dampfes. In Verbindung mit den Gesetzen der Reibung, der Hebelgesetze und der Bewegungen einschließlich des Wurfes konnten zahlreiche Gerätschaften aus Militär und Städtebau verbessert werden, wie etwa Katapulte, Statik, Bogen- und Kuppelbau, Seil- und Aufzüge sowie allerlei Gefährte.
Viele dieser Geräte und besonders die fauchenden und stampfenden Dampfanlagen sind jedoch noch in einer frühen Phase der Entwicklung und an eine profitable wirtschaftliche Nutzung ist überhaupt nicht zu denken. Als Beispiel sei die Aufzugsanlange in der Hauptstadt der Allianz genannt, die die Brücke, deren Ende mehrere Dutzend Meter über dem Stadtgebiet liegt und abrupt wie abgeschnitten dort in luftiger Höhe endet, mit dem ebenerdigen Straßennetz verbindet: Eine Fläche von mehreren Häuserzeilen ist mit einem einzigen Ungetüm aus Rohren, Öfen und Ventilen bedeckt.
Ständig dampft und tobt die Anlage, Dampffontänen schießen zornig in den Himmel, der Boden zittert von der Wucht der eingepferchten Gewalten und die Luft ist vom Knirschen der bis zu einer Chiralänge im Radius messenden Zahnräder erfüllt.
Seit einigen Jahren schon werden zahlreiche Aufzüge über dieses Ungeheuer betrieben und es können damit schwere und schwerste Lasten gehoben werden, doch machen die Mengen an Holz und Holzkohle, sowie die unglaublichen Mengen Wasser, die es verschlingt den „automatischen Aufzug“ insgesamt zu einer wirtschaftlichen Katastrophe. Doch das ist nicht bedeutsam, wichtig ist nur, dass man sie hat, dass es existiert. Sie wurde gebaut, weil man die Macht, das Gold und die Sklaven dazu hatte. Allein der Bau hat die theoretische Mechanik dabei weiter gebracht als zehn Jahre Forschung. Doch trotz der riesigen Flächen, die bisher noch nötig sind und trotz des ungeheuren Aufwands an Material und Arbeitskraft ist die Begeisterung für die neu erlangten Technologien ungebremst und so sieht man immer mehr solcher mechanischen Anlagen in der Hauptstadt der Allianz und den Hauptstädten ihrer erblühenden Provinzen.
Dieses Glück der ungeteilten Aufmerksamkeit hat die Erforschung der Pflanzen und Tiere nie genossen. Zwar haben sich schon ganze Generationen von Mehdorapriestern in Zusammenarbeit mit den Tempeln der Arivara daran gemacht, umfassende Herbarien und Tierbestimmungstafeln anzulegen, aber der Dschungel Chrestonims spuckt tagtäglich neue, fremdartige Kreaturen und Pflanzen aus, die sich in manchem ähneln und dann doch so verschieden sind, dass eine Klassifizierung von Tier- und Pflanzenwelt bisher nicht zufriedenstellend gelungen ist. Wertvolles, ja machtvolles und gefährliches Wissen um Pflanzen und ihre Säfte wird jedoch gehütet wie ein geheimer Schatz und Meister dieser Kunst nehmen sie oft mit in ihr Grab. Die Alchimie wird als tödliche Kunst, die Wirkung von Giften und Drogen zu verstärken, gefürchtet wie auch verehrt - als Wissenschaft gilt sie nicht. Einen hohen Stellenwert genießt die Metallurgie. Neben der schon jahrtausendelangen Erfahrung der Chirà im Veredeln von Waffenstahl hat die Verwendung von Eisen für den Bau mechanischer Apparate und Vorrichtungen zu einer großen Kunstfertigkeit und neuen Verfahren zur Eisenerzverhüttung und Eisenwiederverwertung geführt, gerade auch was die Feinmechanik angeht - das Najhima-Zahnrad sei hier an erster Stelle genannt.
Die Malerei führt im Kulturkreis Mradoshans ein bescheidenes Dasein im Schatten der überragenden Bildhauerei und fristet ein - nicht minder kunstvolles, aber weitaus weniger im Rampenlicht stehendes - Dasein als ornamentaler Wandschmuck. Hier dominieren Pflanzendarstellungen, sowie religiöse Motive, hin und wieder zieht sich auch ein Schlachtengemälde an der Wand eines Clanspalastes der Mondrai entlang.
Anders hingegen die Plastik, insbesondere die klassische Bildhauerei. Kein Palast, kein Garten oder öffentliches Gebäude, das nicht überfließt vor Statuen, gemeißelten Springbrunnen und Verzierungen an Säulen und Arkaden. Für die Chirà, die ihre Vorfahren zutiefst verehren und sich über Clans, Dynastien und Herrschertum definieren, stellt die steingewordene Inszenierung der eigenen glorreichen Familienvergangenheit in Statuen und komplexen, ganze Gebäude bedeckenden Reliefs die ideale Synthese aus ästhetischem Denken und Traditionsbewußtsein dar.
Ein weiteres Zeugnis für die Bedeutung der Bildhauerei legen die großen Triumphbögen und Siegessäulen ab, die in ihrer erdrückenden Wuchtigkeit oder erhabenen Schönheit alle Viertel der Hauptstadt bevölkern und doch wie Zwerge wirken gegenüber den himmelstürmenden Titanstatuen, die ihre Häupter hoch über die Straßenschluchten erheben oder sich an die monumentalen Prachtbauten anlehnen.
Als herausragende Ausnahme-Künstlerin auf dem Gebiet der plastischen Kunst gilt Traxshira Jyurat Atovitra Ecijel, deren Talent schon in frühen Jahren entdeckt wurde und die Kunstwerke von geradezu magisch erscheinender Perfektion zu erschaffen vermag. Mittlerweile verkehrt die eher schüchterne Angehörige der Ecibarra in erlesenen Kreisen der Priester- und Adelskaste.
Dennoch wird die belebte und heiß umkämpfte Kunst-Szene der Hauptstadt vom adeligen Haus Aljenor beherrscht, das über Fördermöglichkeiten verfügt, die sich eine Bürgerliche nicht zu leisten imstande ist.
Im Reich der Musik stehen sich zwei Lager unterschiedlicher Ansichten gegenüber. Die Trennlinie verläuft dabei zwischen den Kernländern der Allianz und den menschlich geprägten Regionen Yedeas und rund um den Metchà.
Musik ist bei den Chirà niemals Selbstzweck, sondern stets erfüllt sie eine Aufgabe. Die verehrenden, in majestätischen oder dramatischen Rhythmen schreitenden Heldenverehrungen, die eine beträchtliche Länge haben können, die gesungenen Gebete oder Schilderungen von Schlachten oder Familienchroniken, die den Hauptteil der chiranischen Musik ausmachen, werden instrumental nur sehr spärlich begleitet und so wird das Liedgut meist von einer einzigen Sängerin oder Sänger vorgetragen. Erst in den letzten Jahren ist man dazu übergegangen, die Gesänge mit szenischen Darstellungen der Handlung zu ergänzen, so dass eine neue Form des gesungenen Schauspiels im Entstehen begriffen ist. Doch es gibt auch chiranische Musik, die ohne Gesang auskommt und ihre Wurzeln in der Kriegerkaste hat:
„Daraufhin betrat eine Gruppe von jungen Kadetten der Akademie die ummauerte Empore über eine der Brücken. In ihren Krallen trugen sie lange Schlagstöcke, dazu an den Unterarmen jeweils einen kleinen runden Camura. Die erwartungsvolle Stille, die sich über das hoch aufragende Rund der Ränge legte, fand ein jähes Ende, als die jungen Kriegerinnen und Krieger ihre Schaukämpfe in festgelegten Formationen begannen, denn bei jeder ihrer Bewegungen schlug der Stab entweder auf den Boden, traf auf einen anderen der Stöcke oder prallte mit lautem Knall auf den eigenen Unterarmschild oder den eines Gegners. Je länger das Schauspiel andauerte, desto mehr steigerte sich der Rhythmus, einzelne Gruppen scherten aus dem allgemeinen Takt aus, verliehen dem hallenden Schlagen weitere Tiefe, mal steigerte sich das Trommeln zu einem donnernden Rollen, mal schien die Schlagfolge auseinander zu stürzen, nur um weit ausholend, doch immer in einem galoppierenden, unglaublich schnellen Rhythmus wieder zueinander zu finden. Die jungen Krieger schien es keine Mühe zu kosten, immer mehr gaben sie sich dem Takt hin, wirkten mehr wie von Mra-Aggar beseelte Tänzer, tief im Rausch des Schlagens und Trommelns verfangen. Immer mehr Zuschauer fielen mit Rufen von den Rängen in diese Klänge ein, stachelten die Kämpfer an, bis die ganze Arena von einer einzigen donnernden, ekstatischen Musik erzitterte und von Rhythmen erfüllt war, denen sich Herzschlag und Denken völlig unterwerfen.
Als das Schauspiel irgendwann endete - ob nach In der Tat ist in Chrestonim die Dampfmaschine bereits erfunden worden. Gleichzeitig muß man sich jedoch von den klassischen Vorstellungen die man mit diesem Wort verbindet (wie die Eisenbahn) trennen. Die chiranischen Dampfmaschinen sind wahre Ungeheuer, riesig, schmutzig, laut, gefährlich und alles andere als rentabel. Eine wirtschaftliche Nutzung liegt noch in weiter Ferne, vielmehr sind sie Prestigeobjekte, gleichsam Symbole für den scheinbar grenzenlosen Triumph des schöpfenden, denkenden Geistes über die Natur.
Nützlich sind sie selten und der Sklave als billige Arbeitskraft und die gute alte Reitechse oder das Schiff als Transportmittel konnten (obwohl es an Versuchen nicht mangelte!) bisher nicht ersetzt werden. Das Fantasy-Genre wird dadurch also nicht ausgehebelt, dafür wird die Technologie auch zu eifersüchtig bewacht, ist viel zu störanfällig und viel zu selten.
Minuten oder Stunden vermag ich kaum zu sagen - hatte nicht ein Kämpfer sich verletzt, nicht ein Schlag hatte sein Ziel verfehlt, wenngleich viele der Kadetten sich mit geschlossenen Augen in den Schoß der Trance haben gleiten lassen...“
Aus den Tagebüchern des Kapitäns Miran Amra, 225 d.A.
Das sogenannte Toudra psujuktan ist eine Begleitung zu Waffenübungen,das zu Trance oder zu Ekstase führen kann. Sei es nun in geschmeidigen Bewegungen oder in wilden, akrobatischen Angriffen gegen einen Scheingegner, das Toudra ist als Mittel zur Konzentration oder zur Freisetzung von mentalen Energien immer, wo es möglich ist, dabei. Träger des Toudras sind die großen Kriegerakademien, denn hier begleitet die nur aus Schlägen und rhythmischen Mustern bestehende Musik Schaukämpfe oder Prüfungen. Ganz selten ist ein Klanginstrument dabei, schon häufiger ist hingegen die Begleitung durch einen Sänger, der meist langgestreckte, fast jaulende Töne von sich gibt. Bei größeren Feierlichkeiten werden von der Kriegerkaste häufig die Toudra psujuktan matunichán dargeboten, in der die Musik allein durch die Schläge und Klänge der Waffen, die entweder aufeinander oder (wie im Falle von Kampfstäben) auf den Boden prallen. Diese Schaukämpfe sind höchst spektakulär und werden selten gezeigt, da sie von allen Beteiligten höchste Konzentration erfordern. Im Toudra psujuktan inrunichán hingegen wird von Anfang an improvisiert und alle Kämpfer versuchen im Laufe der Darbietung im anfänglichen Durcheinander der Schläge und Schreie einen Rhythmus zu finden.
In Zentralchrestonim von Ashrabad über Yedea bis nach Estichà und Men-Achor ist Musik vor allem als Begleitung von Tänzen und als Hintergrundmusik zu Feiern durchaus gebräuchlich und wird so auch gerne um ihrer selbst Willen gehört. Hin und wieder kann man also Spielleuten begegnen, die in den Städten ihre Kunst darbieten.
Besondere Beachtung muß in diesem Zusammenhang Meister Damanoë, einem menschlichen Gelehrten geschenkt werden, der mit seiner Schrift „Musik im westlichen Zentral-Chrestonim, welche traditionell von den Menschen benutzt wird“ in neue Bereiche der Musik vorgestoßen ist und für nicht immer billigendes Aufsehen gesorgt hat.
So führte er nicht nur Namen für die einzelnen Töne ein (wobei er die Anfangsbuchstaben der Kinder Hostinos‘ verwendete, im einzelnen: Van, San, Yor, Jho, Gra, Chi und Del), sondern definierte auch verschiedene Tonräume und Tonarten. Ob sich seine Theorien und Einteilungen durchsetzen werden, bleibt noch abzuwarten.
Zwei Grundformen sind in der chiranischen Architektur bestimmend: die Pyramide und die Kuppel.
Die Pyramidenform ist das althergebrachte Symbol der Macht, besonders die des Staates. In der Hauptstadt findet dieser Machtanspruch demnach ihre bauliche Umsetzung in öffentlichen Anlagen der Verwaltung und Regierung Verwendung, also Gebäuden, die einen repräsentativen, wuchtigen, unbeirrbaren und geradezu erdrückenden Eindruck beim Volk hinterlassen sollen. Diese Pyramiden nehmen freilich eine gewaltige Grundfläche ein, weshalb man mehr und mehr dazu übergeht, die Seiten in einem immer steileren Winkel auf den Boden treffen zu lassen, um den Verlust an Inhalt trotz Reduktion der Fläche zu minimieren. So stechen die Verwaltungsgebäude der neueren Viertel der Hauptstadt als schlanke pyramidale Türme aus dem umgebenden Dachgewirr in den Himmel. Die Außenwände der staatlichen Pyramiden sind eben und glatt. Auch das eine Symbolik: vollkommen in der Form und scheinbar unangreifbar. In Hinblick auf die zunehmende Bequemlichkeit jedoch hat man das einst makellose, oft strahlend weiße Antlitz mancher Pyramide durch Einbuchtungen für einen Balkon oder ein senkrechtes Fenster verschandelt.
In den seltensten Fällen finden sich die Eingänge am Sockel des Bauwerkes, sondern mehrere Vat über dem Boden. In den ältesten Vierteln der Hauptstadt der Allianz sind die Pyramiden so dicht aufeinandergebaut, dass sich ihre Schrägen unten berühren. Das sich dort sammelnde Wasser kann sich in wenigen Augenblicken zu pfeilschnellen Sturzbächen sammeln, die einerseits sich ansammelnden Müll, Unrat und Ungeziefer davon- und in die Kanalisation spülen, andererseits auch Gefahr für Leib und Leben der Ärmsten der Armen darstellen, die hier unten hausen. Um diese Kanäle zu meiden, sind auf vier oder fünf Vat Höhe breite Stege zwischen den Pyramiden gespannt, auf denen der Verkehr fließt und oftmals die unteren Kanäle in vollkommener Dunkelheit verschwinden lassen. Der große Freiraum zwischen den Böden und dem eigentlichen Erdreich ist feucht und klamm, eine finstere Welt für sich, eine Stadt unter der Stadt, an manchen Stellen von Sumpfpflanzen durchwuchert und nicht nur Wohnraum für Verbrecher und die Verlierer der Gesellschaft, sondern auch Kreaturen des Dschungels, die auf diesem Wege das Territorium zurückerobern, das die Hauptstadt ihnen einst raubte...
Stufenpyramiden wurden nur selten errichtet. Dass sie mit ihren vorgelagerten Terrassen, den senkrechten Wänden und ihrer unkomplizierten Bauweise bedeutend praktischer sind, ist ihnen sehr wohl bewusst, aber die Chirà empfinden diese Gebäude, die sich hier und da ausschließlich als Wohnanlagen finden, als unschön und als eine Beleidigung für die Augen. So kommt es, dass die wohnlichsten Quartiere, die Menschen oder Sragon als Paradiese im Stadtgebiet bezeichnen mögen, von den Chirà als „unansehnlich“ abgetan werden.
Mächtige Lichtschächte, die die wuchtigen Pyramiden von der Spitze bis zum Fundament durchstoßen und die bei starken Regenfällen zur
Mittagszeit durch mehrere wasserdichte Planen bedeckt werden können oder bei neuzeitlichen Gebäuden gar mit einer Glas- und Stahlkonstruktion abgedeckt werden, stellen die neueste Entwicklung im uralten Pyramidenbauwesen dar.
Für Aufsehen haben auch die Experimente einiger Architektinnen, darunter vor allem von Tejha Aljenor Chranirual gesorgt, Pyramiden mit drei-, fünf-, sechs- und siebenseitigen Grundflächen zu konzipieren und beeindruckende, ja atemberaubende Wirklichkeit werden lassen. Zahlreiche dieser Pläne wurden erfolgreich in wahre Perlen im Stadtbild verwandelt.
Die in früheren Zeiten als frivol geltenden Kuppeln sind eine im Vergleich zu den altehrwürdigen Pyramiden neumodische Leidenschaft der Wohlhabenden.
Kaum ein Neubau eines Palastes aus Adelskaste und Kriegerschaft, der nicht versucht, seine Vorgäner durch immer gewagtere Kuppelbauten in den Schatten zu drängen. Sogar die Paläste, die die jahrtausendealte Kastenpyramide der Chrania auf ihren steinernen Schultern trägt, tragen glänzende Kuppeln, schillernden Seifenblasen gleich, auf ihren Zinnen.
Einige aufgeschlossenere Kulte der Mra-Aggar haben auch die Eleganz und Würde dieser schwebenden Gewölbe schätzen gelernt, während die konservativen Kräfte aus den Priesterschaften der Hostinos-Kulte der neuen Baurichtung für sakrale Anlagen entschiedenen Widerstand entgegenbringen und stattdessen mit erhobenen Zeigefinger auf die jahrtausendealte Tradition der pyramidalen Tempel verweisen.
Nicht, dass die Kuppel nicht schon seit Jahrtausenden Teil der Baukunst wäre: sämtliche Thermen der Allianz verfügen über weite Kuppelkonstrukte, doch nur allmählich schlichen sie über die privaten Badehäuser der Oberschicht in die Wohnbereiche. Eben diese Herkunft aus den Badeanstalten, in denen ein Gast stets intime Betreuung durch ausgewählte Lustsklaven erfährt, lässt viele Priesterschaften vor der Verwendung dieser Form zurückschrecken, fürchten sie doch scheinbar, bald mit derartigen Etablissements verwechselt zu werden.
Die Abneigung der konservativen Schichten der chiranischen Gesellschaft ist um so erstaunlicher, als die große, uralte Versammlungshalle der chiranischen Kasten, der Dom Aviajar, die größte bekannte Kuppel Mradoshans trägt.
Die neusten Entwicklungen des hereinbrechenden „Diamantenen Zeitalters“ äußern sich in immer gewagteren und phantastischeren Bauprojekten: immer höher wachsen die Turmpyramiden in den Himmel, so dass ihre Häupter zur Regenzeit in den tiefhängenden Wolken- und Nebelfeldern verschwinden und immer weiter werden die Stützbögen für die Diskus- oder gar Kugelförmigen Bauexperimente der führenden Architektinnen.
Als jüngste Glanzleistungen dürften hierbei die verwachsenen Drillingstürme über den Ovalen der Marama-Arenen gelten, deren Bau nur durch die Verwendung neuester Materialien wie dem Ejhao-Stahl möglich wurde.
Die großen Straßen und Plätze der Allianzhauptstadt gehören zweifellos zu den prunkvollsten Zeugnissen chiranischer architektonischer Kunst. Mondäne Plätze, inszeniert über gewaltige Triumphbögen, Obelisken und Schmuckpyramiden, verbunden mit von Arkaden hängenden Gärten, verschlungenen, mit den Straßen verwobenen- Brunnenanlagen und über versetzte Ebenen fließende Parks prägen das Antlitz der modernen Viertel und vielmals umgestalteten zentralen Plätze der Metropole.
Enge Straßen und von hohen Gebäuden umgebene Märkte wie in den Städten der Menschen haben sich in den ältere Stadtvierteln zurückgezogen - von denen es freilich ein Dutzend mal mehr gibt als Vorzeige-Viertel in der Innenstadt.
Die klassische „Würfelarchitektur“ findet sich dann auch in den westlichen Städten wieder, besonders in Ashrabad und Yedea. Doch selten war hier eine ordnende Hand zugange, so dass die Häuser so aufeinander und wild nebeneinander gebaut wurden, dass kein Durchkommen mehr ist. Das Flachdach ist in Mradoshan weit verbreitet, doch natürlich ist es stets in eine Richtung hin leicht abschüssig, muss doch das viele Regenwasser (das in großen Becken, zentralen Höfen oder einfachen Regentonnen aufgefangen wird) irgendwo hin abfließen. In den Städten an der Küste des Metchà, besonders in Estichà, Vorovis und Men-Achor hingegen ist das Schräg- und Giebeldach üblich.